Auf einen Blick:
- Tage 30 - 53
- Kopanice – Doboj – Banja Luka – Jajce – Jablanica – Bugojno – Mostar – Trebinje – Foča
- Bis jetzt 2260 km geradelt
- In Bosnien 258,18 € ausgegeben
Mein Herz pocht wie wild. Seit 18 Jahren reden wir darüber, dass ich sie in ihrem Heimatdorf besuchen komme. Als wir 10 waren sind wir in die gleiche Schulklasse gekommen, haben die rebellische Teenagerzeit gemeinsam überstanden und sind seither unzertrennlich. Aber in ihr Heimatdorf, wo sie jeden Sommer verbrachte, habe ich es nie geschafft. Und jetzt ist es soweit. Es ist der 14. August 2018 und Reini und ich stehen in der Grenzstadt Orašje. Hinter uns Kroatien und nur 10 Kilometer vor uns Kopanice. Der Heimatort von Ivanas Familie. Auch sie mussten Anfang der 90er Jahre während des Jugoslawienkriegs flüchten. Die Narben des Kriegs sind seit Kroatien überall zu sehen. Zerbombte Häuser, Ruinen, Minenwarnungen. Und die Autokennzeichen. Die meisten Autos, die wir sehen, haben österreichische oder schweizer Kennzeichen. Komisches Gefühl, wir sind doch schon so weit weg von Salzburg und hier überholt uns ein Salzburger nach dem anderen. Im Sommer lebt die Gegend auf - Straßen, Restaurants und Cafes sind gut besucht, in den sonst leerstehenden Häusern kehrt für kurze Zeit wieder Leben ein.
Wir stehen also hinter dem Grenzübergang und versuchen unseren Weg Richtung Kopanice zu finden. Der Ort ist so klein, dass er auf der Landkarte nicht eingezeichnet ist. Mein Puls steigt und steigt, die Endorphine lassen meinen ganzen Körper zittern. Nur noch wenige Meter und ich werde meine allerbeste Ivi, die kleine Vici und ihren Papa Chris sowie Ivis Eltern fest drücken. Weil es keine Straßennamen gibt, war Ivis Wegbeschreibung so simpel wie „in Kopanice bei der Kirche“. Und da ragt sie hervor, die Kirchturmspitze. Mit einem riesen Lächeln im Gesicht biegen wir rechts ab. Und da laufen sie schon alle mit einem riesen Krawall auf die Straße, jubeln, klatschen und hüpfen uns entgegen. Mit nassen Augen und unendlichen Glücksgefühlen fallen wir uns alle in die Arme. Was für eine Achterbahn der Gefühle!
Die nächsten Tage in Kopanice werden uns für immer in Erinnerung bleiben. Reini und ich werden mit einer unglaublichen Herzlichkeit und Fürsorge verwöhnt und als Gäste auf Händen getragen. Es gibt Spanferkel, in der Stadt ist Kirtag, wir grillen und essen original bosnische Cevapcici und werden mit sämtlichen Köstlichkeiten aus dem grandiosen Garten von Ivis Eltern versorgt. Und natürlich auch mit Sljivoica! Dass der Abschied, um es milde auszudrücken, schwer fällt, war vorauszusehen. Das selbstgebastelte Fernrohr von der kleinen Vici wird uns aber helfen, immer wieder auf Kopanice zurückschauen zu können. <3
Wir rollen aus Kopanice raus. „In Bosnien müsst ihr schon ein bisschen besser aufpassen – wilde Hunde, viele Minen und die Menschen sind nicht mehr ganz so vertrauenswürdig wie hier!“ Mit dieser Warnung im Hinterkopf starten wir mit einem mulmigen Gefühl in das fünfte Land unserer Reise.
Es geht Richtung Banja Luka und die Straßen sind ein Traum für Radfahrer – wenig Verkehr, rücksichtsvolle Autofahrer und perfekter Asphalt. Wir kommen schnell voran und kommen nach 100km in Doboj an. Der Stadtrand wirkt laut, hektisch und dreckig. Wir sind schon fix und fertig von diesem langen Tag und die Zeltplatzsuche wird zur Herausforderung. In Städten ist es immer schwer einen sicheren Platz zu finden und es fehlt uns die Erfahrung. Etwas verzweifelt fahren wir mit letzten Kräften aus Doboj raus. Es geht so steil bergauf, dass selbst das Schieben kaum noch möglich ist. In der Hoffnung auf eine Einladung fragen wir immer wieder nach einem Campingplatz. Erfolglos. Es wird bald dunkel und ich kann nicht mehr. Beim nächsten Haus mit einer großen Wiese bleiben wir stehen und ich frage unverschämt „Dürfen wir bitte hier unser Zelt für eine Nacht aufstellen?“ Sie schauen uns mit großen Augen an: „Natürlich, ihr seid herzlich willkommen!!“, geben uns die Menschen mit Händen und Füßen zu verstehen, bringen uns Obst aus dem Garten und stellen uns einen Tisch mit zwei Sesseln hin, damit wir unser Abendessen nicht am Boden kochen müssen. Ich könnte heulen vor Glück.
Und so soll es weiter gehen in Bosnien und Herzegowina. Wir werden von einer alten Dame in ihre Anliegerwohnung eingeladen, sie bringt uns selbstgemachte Kuchen (5 verschiedene Sorten!!), die Nachbarn zur Rechten halten uns 2 Kilo Zwetschken hin und Nachbarn zur Linken Feigen, Weintrauben, Äpfel und Rakija. Während wir Pause an einem See machen laden uns 20 Männer zu ihrer Firmenfeier ein. Wir bekommen Fleisch, Salate, Brot und Bier. Via Instagram ladet uns Jasmina ein, ihre leerstehende Wohnung in Bugojno zu nutzen. Sie verfolgt unsere Reise seit Beginn und möchte uns unterstützen. Weil sie selbst in Salzburg ist, kümmern sich kurzerhand ihre Nichte Sara und ihr Schwiegervater Salko um uns, zeigen uns die Wohnung und laden uns zum Essen ein.
Liebe Jasmina, wir möchten uns bei dir von ganzem Herzen für dein Vertrauen bedanken und freuen uns auf 2020, wenn wir dich in Salzburg persönlich kennenlernen dürfen!
Zwischen all diesen Erlebnissen liegen traumhafte Landschaften entlang des Vrbas Flusses, der sich malerisch durch Schluchten und Täler windet. Wir kommen durch Jajce, Jablanica und Bugojno. Vereinzelt trifft man auf ein paar Touristen, die scheinbar alle nur ein Ziel haben: Mostar. In Mostar angekommen, versuchen wir die Räder durch die engen, vollen Gassen zu schieben. Keine Chance. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen mit hervorragendem Blick auf Mostars berühmte Brücke. Während wir unsere aufgeschnittene Gurke und Tomate mit Olivenöl und Weißbrot genießen, beobachten wir, wie ein durchtrainierter Mann nach dem anderen vor tosendem Publikum von der Brücke in den Fluss springt. Wir genießen die Show und suchen uns anschließend etwas außerhalb der Stadt ein wunderbares Zeltplätzchen neben einem Fluss.
Von Mostar bis Trebinje folgen wir dem Ciro Trail, einer alten, ausgebauten Bahntrasse. Mit ausgelaugten Radlerbeinen und einem großen Loch im Bauch, machen wir am ersten Burek-Stand halt und essen jeweils zwei Burek. Langsam kehrt wieder Leben in unsere müden Gliedern. Zufällig macht Simon neben uns halt, ein Radfahrer aus Kanada. Auch er gönnt sich eines dieser vor Fett triefenden, mit Käse oder Fleisch gefüllten Teigrollen und wir beschließen, gemeinsam ein Nachtlager zu finden. Die Dämmerung und unsere Müdigkeit erschweren die Suche und wir landen auf der bislang dreckigsten und hässlichsten Wiese dieser Reise. Die schweren Beine lassen uns trotz der stark befahrenen Bundestraße tief und fest schlafen. Am Morgen bekommen wir Besuch von der Polizei, unsere Daten werden aufgeschrieben, wir werden etwas schräg angeschaut und schon verschwindet der Polizist wieder. Unspektakulärer als erwartet. Nachdem der Polizist weg ist, spricht uns erneut jemand an. Er heißt auch Simon, radelt gerne und hat zahlreiche Tourentipps auf Lager. Wir packen die Landkarte aus und schmeißen unsere Pläne, an die Küste zu fahren, kurzerhand über Bord. Überhaupt krämpeln wir in den nächsten 20 Minuten unsere Pläne komplett um: Anstatt weiterzufahren beschließen wir, ein paar Tage in Trebinje zu bleiben und dem Rat von Simon zu folgen. Von der Küste Montenegros hatten wir bislang sowieso nichts Gutes gehört (außer der Schönheit Kotors würden wir nichts verpassen, hat man uns mehrfach bestätigt). In Kürze haben wir ein idyllisches und sehr günstiges Airbnb gefunden (6 € p.P.), wo wir uns vom gestrigen Burek erholen (ja, es hat uns beiden unsanft auf den Magen geschlagen) und uns so wohl fühlen, dass wir fünf Nächte bleiben.
Die Pläne sind neu geschmiedet, die Räder gewartet und die Mägen wieder erholt. In den Beinen kribbelt es und nach den ersten Metern merken wir, wie gut es tut, weiter zu reisen. Die Straße führt steil bergauf und in kürzester Zeit haben wir einen wunderbaren Blick auf Trebinje. Es ist nur wenig Verkehr und wir sind uns einig, dass die Routenänderung jetzt schon die beste Entscheidung war.
Die letzte Nacht in Bosnien werden wir von Dichomir und Milena eingeladen, in ihrem Garten zu campen, werden mit Kaffee, Keksen, Likör und Tomaten versorgt und obwohl keiner die Sprache des anderen versteht, erfahren wir erstaunlich viel über das liebenswürdige, pensionierte Ehepaar, das sich vor über 40 Jahren im Restaurant, in dem er als Kellner und sie als Köchin gearbeitet haben, kennengelernt haben. Ihre beiden Töchter leben in Foča, die nächste Stadt unten im Tal. Sie haben studiert und kommen nach Milenas Geschmack viel zu selten zu Besuch. An der Straße vor dem Haus verkauft Tihomir in den Sommermonaten selbstgemachten Honig, Marmeladen, Liköre und Schnaps. Alles aus eigenem Garten, wie uns die beiden stolz erzählen. Natürlich nehmen wir Dichomir ein Glas Himbeermarmelade ab, diese Köstlichkeit wird uns bestimmt noch über viele Berge bringen.
Der letzte Tag in Bosnien ist angebrochen. Es regnet aus Kübeln und wir werfen uns in unsere neongelbe Regenmontur. Sexy! Der Nebel hüllt die Bergzüge rund um die imposante Tara Schlucht ein und wir fahren durch mystisch anmutende Landschaften. Bosnien und Herzegowina schafft es bis zum letzten Tag uns ins Staunen zu versetzen, sich trotz schlechten Wetters von seiner besten Seite zu zeigen und den bisherigen Erlebnissen noch eine Schippe draufzusetzen. Gerade lichtet sich der Himmel, die Sonne kommt hervor und wir erreichen den Grenzübergang nach Montenegro und somit das Ende unserer unvergesslichen Zeit in Bosnien und Herzegowina. Wir kommen wieder, hvala!
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Doris R. (Samstag, 08 September 2018 23:09)
So viele positive Erlebnisse, so wunderbare Eindrücke!
Danke, dass ihr das alles mit uns "Daheimgebliebenen" teilt und weiterhin gute Fahrt. Ich freue mich schon sehr auf eure nächsten Berichte. :)
Josy N (Sonntag, 09 September 2018 10:24)
Ich freue mich immer sehr auf und über eure Berichte und Bilder. Weiterhin alles Gute, viele wunderbare Eindrücke und...passt auf euch auf! Liebe Grüße aus Saalfelden
Sebastian (Sonntag, 09 September 2018 15:27)
Ich freue mich immer wieder von Euch zu lesen vor allem aber dass Ihr gut voran kommt und es Euch gut geht
Weiter alles alles Gute
Sebastian aus Tirol
Heide (Sonntag, 09 September 2018 20:57)
Ich freue mich über jeden eurer Berichte. Sie fühlen sich so echt an und man kann sich so schön mit euch mitfreuen. Bin schon gespannt was als nächstes kommt!
Silke (Montag, 10 September 2018 22:39)
Macht großen Spaß, lesend mit Euch zu reisen - wünsche Euch weiterhin alles Gute und viele tolle Begegnungen!
Robert (Dienstag, 11 September 2018 16:02)
Sehr schöne stimmungsvolle Bilder. Danke, dass man mitreisen darf :)
Reini & Angi (Samstag, 15 September 2018 18:15)
Wir freuen uns sehr, dass ihr uns auf der Reise begleitet und unsere Berichte einen kleinen Eindruck davon geben, was wir hier so erleben dürfen!
Klaus Huber (Samstag, 29 September 2018 08:02)
Wie immer, ein toller Bericht. Vielen Dank dafür. LG aus der Stadt der Mozartkugel.
sigrid (Samstag, 29 September 2018 11:45)
Ihr Lieben
Es ist für mich "alte Tante" spannend mit Euch in Gedanken mitzureisen.
Ich wünsche euch nur schöne Erlebnisse und weiterhin alles Gute
Dirk (Donnerstag, 01 November 2018 10:43)
Danke für's virtuelle Mitnehmen und ein paar Minuten Kopfkino - hat Spaß gemacht.